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Wie beeinflusst die Selbsterkenntnis einer Führungskraft ihre Handlungsmotive im Leadership?

Eine kontemplative Literaturarbeit


Einleitung

«Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.»

Kurt Lewin (1890–1947)


Der Gedanke von Kurt Lewin könnte wie folgt ergänzt werden: … sofern sie zieldienlich angewandt wird und ihre Praktikabilität für alle Beteiligten vorhanden ist und sie Bedeutsamkeit generiert. Seit der antiken Philosophie ist Selbsterkenntnis die wahre Errungenschaft im Leben einer Person, denn diese sollte den Grundstein für weitere Entwicklungen im Leben eines Menschen bilden. Erkenntnis über sich selbst zu gewinnen, ist nicht nur eine persönliche Herausforderung, sondern auch ein Ringen um Identität und darum, wie der Mensch seinen Platz in der Welt findet und sich in der sozialen Gemeinschaft integriert. Dies gilt für alle Menschen, aber insbesondere für die in Führungspositionen und mit Führungsverantwortung. Ich verwende in der nachfolgenden Auseinandersetzung den Begriff der Selbsterkenntnis als Zustand kognitiv-emotionaler Verfassung einer Führungsperson. Auf dieser Grundlage möchte ich meine Darstellung entwickeln, um den interaktiven und wechselseitigen Austausch einer Führungsposition mit ihrer Umwelt darzustellen. Ich werde in erster Linie auf die frühen entwicklungspsychologischen Erkenntnisse eingehen, denn sie bilden in jedem Menschen die biopsychologische Grundlage für Selbsterkenntnis. Im Laufe der Entwicklung der vergangenen zweihundert Jahre Industrie- und Wirtschaftsgeschichte wurde das Verhalten von Führungspersonen von vielen Wissenschaftlern beobachtet und untersucht. Verschiedene Theorien und anwendbare Modelle entstanden. Den Begriff Leadershipverwende ich im Sinne von Führung sozialer Organisationen. Um mit Henry Mintzberg zu sprechen: Wir brauchen Führungspersönlichkeiten, «die nicht Meister oder Antreiber sind, sondern sie sind die Kraft, die Gemeinschaft erzeugt» (Mintzberg, 2011). Die folgende Auseinandersetzung mit den drei Handlungsmotiven Macht, Leistung undAnschluss (McClelland, 1985) halte ich für eine durchaus praktische Theorie. Sie geben Auskunft darüber, was eine Führungskraft beabsichtigt zu tun oder durchzusetzen, wofür sie Aufwand betreiben möchte und was sie in einer Gemeinschaft tun möchte. Ich beleuchte die Hintergründe, warum es Führungspersonen als wichtig erscheint, Macht zu haben; was Leistung bewirken kann und weshalb es für eine Führungsperson vorteilhaft ist, einen verstärkten sozialen Anschluss zu haben. Welches Motiv in welchem Mass in einer Führungsperson angelegt und aktiv ist, beeinflusst das Verhalten der Führungskraft und ihren Alltag. Die Beeinflussung wird hier dargestellt als einen Prozess des Feedbacks, sodass ihr Verhalten eine ständige Rückmeldeschleife produziert in Bezug darauf, wie die Handlungen der Führungskraft bei den Mitarbeitenden ankommen und deren Reaktionen wiederum bei der Führungskraft.



Das Selbstbild und seine Entstehung

«Gnothi seauton», erkenne dich selbst, heisst der allseits bekannte Imperativ der abendländischen Philosophie, der auf der Fassade des Apollotempels von Delphi angebracht ist.

Für viele Menschen ist diese Aufforderung verständlich, aber doch ungreifbar. Sie denken häufig an Esoterik oder an eine psychologische Theorie, die nur denen vorbehalten sei, die sich mit psychologischen Wissenschaften auseinandersetzen. Das Durchdringen des oberflächlichen Lebensalltags streben nur wenige Menschen an, aber gerade dadurch hätten sie die Möglichkeit, mehr von ihrer Persönlichkeit zu entdecken. Dies würde dazu führen, dass sie einen leichteren Umgang mit sich selbst, mit den Herausforderungen im Alltag und mit ihrer sozialen Umwelt pflegen könnten. In der Vergangenheit, in der die Persönlichkeit «herangewachsen» ist, würden wir nicht nur die schönen Erinnerungen, sondern auch die unschönen finden, die wir gern unbewusst übersehen oder bewusst ignorieren.

Nach der Auffassung C. G. Jungs ist das Selbst als Gesamtumfang aller psychischen Phänomene zu verstehen (Roth, 2013), inklusive Bewusstes und Unbewusstes. Das Selbst zeigt sich in den Handlungen, Empfindungen sowie Gefühlen und trägt wesentlich dazu bei, unsere Persönlichkeit im Laufe unseres Lebens zu entwickeln. Das Erkennen der eigenen persönlichen Merkmale entsteht durch den wechselseitigen Austausch mit der sozialen Umwelt, in erster Linie während der Sozialisation in der Familie. In diesem Prozess zeigen sich täglich immer neue Merkmale der Persönlichkeit. An diesen Merkmalen erkennt die Person selbst, wie sie wirkt und welche Auswirkungen ihre Taten haben. Je spezifischer diese in Erscheinung tretende Persönlichkeitseigenschaften sind, umso greifbarer werden sie für die Person selbst als auch für ihre Umwelt. Demnach lässt sich sagen, dass alles, was eine Person tut und worauf sie eine Rückmeldung vom sozialen Umfeld erhält, etwas mit der Person selbst zu tun hat.

Ein untrügliches Phänomen ist der Farbklecks-Test, auch Mirror-Rouge-Test genannt (Laurenz, 2009). Der Test geht zurück auf die Ergebnisse der Forschungsarbeiten des vergleichenden Psychologen Gordon Galupp. Es wurde festgestellt, dass Menschen und Menschenaffen in einen Bereich der kognitiven Selbsterkenntnis vorgedrungen sind, der sie von allen anderen Lebensformen unterscheidet (de Waal, 1997). Frans De Waal beschreibt dieses Experiment in seinem Buch «Der gute Affe» wie folgt: «Ein Individuum wurde ohne sein Wissen an einer bestimmten Stelle, beispielsweise über den Augenbrauen, mit

einem Farbklecks markiert. Von ihrem Spiegelbild geleitet, rieben Schimpansen und Orang-Utans – ebenso wie Kinder, die älter als eineinhalb Jahre alt waren – mit der Hand über den Farbfleck und untersuchten dann ihre Finger; es war ihnen also klar, die Farbe auf dem Spiegelbild befand sich in ihrem Gesicht» (De Waal, 1997). Die Unterscheidung zwischen dem Spiegelbild und der eigenen Person ist ein Beispiel, wie Kinder ihre ersten Schritte zur Selbsterkenntnis machen. Durch den Prozess der Sozialisation in der Familie und mit Freunden während des Heranwachsens entstehen Verhaltensmuster, die sich im Kind mit jeder Wiederholung verfestigen.

Der wechselseitige Austausch mit dem sozialen Umfeld hinterlässt im Gehirn des Kindes Erfahrungen und durch diese Verankerung entsteht das sog. episodische Gedächtnis, wodurch bewusste willentliche Handlungsmuster entstehen (Thompson, 2001). Demnach können wir im späteren Verlauf unseres Lebens diese Fähigkeiten oder Handlungsmuster je nach Situation abrufen, um entsprechend handeln zu können. Kinder erlernen leistungsmotiviertes Handeln bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase. Zentrale Antriebsmechanismen für leistungsmotivierte Personen sind einerseits die Hoffnung auf Erfolg und andererseits die Furcht vor Misserfolg. Erfolg wird sogar früher wahrgenommen als Misserfolg. Auf ein Erfolgserlebnis reagiert ein Kind bereits mit zweieinhalb Jahren mit Lächeln und auf Misserfolg reagiert es mit drei Jahren durch das Herabziehen der Mundwinkel. Leistungsmotiviertes Handeln bei Kindern äussert sich durch «Selbermachen-Wollen», insbesondere dann, wenn Aktivitäten fast, aber noch nicht ganz gelingen (vgl. Furtner & Baldegger, 2012; Heckhausen & Heckhausen, 2010).

Wenn ein kleiner Junge beim Fussballspielen mindestens ein Tor schiesst, so werden seine Fähigkeiten fürs Fussballspielen in seinem Bewusstsein ausgebildet und verankert. Diese können sein: Ich bin ein Gruppenspieler, also kann ich in einer Mannschaft gut mitmachen oder mitspielen; ich weiss, was es braucht, um gut Fussball spielen zu können; wenn ich schnell genug renne und an den Mitspielern der anderen Mannschaft mit geschickter Ballführung vorbeilaufen kann, kann ich mein Ziel erreichen und ein Tor schiessen. Das Beispiel zeigt, wie das eigene gute Gefühl sich mit den Handlungen – in diesem Fall Fussball spielen – verbindet und zu einer persönlichen inhärenten Empfindung der eigenen Fähigkeiten führt. Die Essenz dieser Erkenntnis eines Kindes könnte heissen, dass es später im Berufsleben sich in einer Arbeitsgruppe gut integrieren kann und die Zusammenarbeit mit Arbeitskollegen gelingt. So kann die Hoffnung auf Erfolg durch die eigene leistungsbezogene Erfahrung aufrechterhalten und später gesteigert werden.

Der Stellenwert der Erkenntnis in Bezug auf die eigene Leistung im Hinblick darauf, wie eine Person, in erster Linie für sich, ein Problem/eine Aufgabe löst, stellt eine wichtige Grundlage für spätere Handlungsanforderungen in ihrem Leben dar. Simpel ausgedrückt bedeutet dies: Wenn eine Person eine Aufgabe gelöst hat, beispielsweise eine mathematische Aufgabe, und sie sich über die gefundene Lösung freut, so bildet sich in ihrem Bewusstsein ein Muster bezüglich des Anspruchsniveaus und der Zielsetzung (vgl. Heckhausen & Kuhl, 1996). Unter Anspruchsniveau versteht man die Gesamtheit der «Erwartungen, Zielsetzungen oder Ansprüche an die zukünftige eigene Leistung» (Hoppe, 1930). Im Zuge dieser Leistungserfahrungen bilden sich Hoffnung auf Erfolg und Furcht vor Misserfolg heraus (Heckhausen & Kuhl, 1996). Folglich wird eine Führungskraft, die während der Aus- und Fortbildung wertvolle Lernerfahrungen sammelt, die sie in ihrer Funktion unterstützen, die Eigeninitiative zur Weiterbildung eigener Führungsqualitäten selbst in die Hand nehmen (McGregor, 1970). Auf diese Theorie komme ich beim Thema Leistungsmotiv zu sprechen.



Big Five der Persönlichkeit

Der Prozess der Selbsterkenntnis einer Person und ihre persönliche Eigenschaften, die bestimmte Neigungen auf der kognitiven, emotionalen und Handlungsebene betreffen, stehen unmittelbar in Verbindung miteinander. Eines der theoretischen Modelle zur Beschreibung persönlicher Eigenschaften ist das Big-Five-Modell (McCrae & Costa, 1997). Die Basis hierfür bildet die theoretische Kategorisierung von Louis Leon Thurstone, Gordon Allport und Henry Sebastian Odbert in den 1930er-Jahren(McCrae & Costa, 1997). Paul Costa und Robert McCrae stellten im Jahr 1987 ein abschliessendes Modell bezüglich dieser Theorie auf: das Modell der Big Five der Persönlichkeit. Dies dient zur Beschreibung kulturübergreifender menschlicher Persönlichkeitseigenschaften, sog. Traits (McCrae & Costa, 1997), und bewährte sich als das stabilste Modell in der psychologischen Persönlichkeitsforschung (vgl. Furtner & Baldegger, 2013). Die Besonderheit einer Längsschnittstudie durch Soldz und Vaillant (1999) ist, dass insbesondere die Traits Neurotizismus, Extraversion und Offenheit für Erfahrungen während der gesamten Lebensspanne relativ stabil bleiben (Furtner & Baldegger, 2013). Die stärksten Anzeichen für berufliche Erfolge zeigen die Eigenschaften Gewissenhaftigkeit und Extraversion (Furtner & Baldegger, 2013). Für die Skizzierung der drei Handlungsmotive Leistung, Macht und Anschluss werde ich die Beschreibungen, die ich in Tabelle 3.1 dargestellt habe, benutzen, um die Beziehungsvarianten aufzuzeigen zwischen den Traits/Persönlichkeitseigenschaften einer Person und den Motiven, wie sie sich im Führungsalltag widerspiegeln könnten.


Prototypische Adjektive zur Beschreibung der Big-Five-Persönlichkeitseigenschaften in Anlehnung an John (1990) (Quelle: Furtner & Baldegger, 2013)

Damit die Interaktionen einer Führungskraft im Arbeitsalltag mit Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitenden im Gleichgewicht bleiben kann, ist es für sie unerlässlich, sich den eigenen Persönlichkeitseigenschaften bewusst zu sein. Darüber hinaus geht es darum, wie manche Eigenschaften in ihr angelegt sind und wie sie sie entsprechend ihrer Rollenverantwortung einsetzt.



Motive

Aus handlungspsychologischer Sicht versteht man unter einem Motiv ein Beweggrund, um grundlegende menschliche Bedürfnisse zielgerichtet und ergebnisorientiert zu befriedigen (Furtner & Baldegger, 2013). Aus etymologischer Sicht stammt das Wort «Motiv» aus dem 16. Jahrhundert und findet seine Wurzel in dem mittellateinischen Wort motivum, das «Beweggrundoder Antrieb» bedeutet. Wenn eine Person ein Motiv hat, um etwas zu bewegen, dann besteht die Möglichkeit, dass sie dieses einsetzt, um eine Situation zu vermeiden oder sie entstehen zu lassen bzw. zu konstruieren (Annahme des Autors).

In dieser Arbeit möchte ich auf dieMotive und deren Auswirkungen eingehen, die im Führungskontext, also im Leadership, für die handelnde Person in Verbindung mit ihren Persönlichkeitsmerkmalen bedeutsam sein können. Die nachfolgende Beschreibung bezieht sich auf den Führungsalltag im Unternehmen.



Leistungsmotiv

Ich bin bereits eingangs dieser Arbeit auf die beiden Begriffe Anspruchsniveau und Zielsetzung eingegangen (Heckhausen & Kuhl, 1996). Einer Führungskraft, deren Arbeitstage von Aufgaben gefüllt sind, stellt sich täglich die Frage: Was bewegt mich dazu, eine gute und qualitativ hohe Leistung zu erbringen, um die Aufgaben erledigen zu können? Zielsetzung und Erwartungen prägen die zu erbringende Leistung und deren Prozessgestaltung. Was motiviert Menschen, in einem bestimmten Arbeitsfeld zu arbeiten, und was soll nach geleisteten Handlungen erreicht werden? Dem Prozess der Leistungserbringung gehen Entschlüsse und Wahlentscheidungen voraus (Heckhausen & Kuhl, 1996). Bewertungskriterien im Zuge einer Wahlentscheidung können Werte, Vorlieben oder Abneigungen sein, zum Beispiel hinsichtlich eines Vortrags vor den Vorgesetzten. Die Aufregung kann zur Abneigung frühen, insbesondere wenn vielleicht einer der Vorgesetzten bei den Vorträgen immer mit grosser Skepsis zuhört (Annahme des Autors). Dadurch kann beim Vortragenden eine Abneigung gegenüber diesem Vortrag entstehen. Eine Person mit erhöhtem Anteil an Gewissenhaftigkeit hat den Antrieb, eine bestimmte Aufgabe zu absolvieren, um anschliessend das Ziel zu erreichen. Hierfür erscheint die prozessuale Eigenschaft planen zu könnenals eine wichtige Fähigkeit. Leistungsmotivierte Führungspersonen weisen oft einen höheren Anteil an Offenheit für Erfahrung und Extraversion auf (McCrae & Costa, 1997). Offenheit für Erfahrungen hilft Führungspersonen, neue Ideen für ihre Abteilung oder Firma zu entwickeln, und Extraversion unterstützt dabei, die notwendigen sozialen Kontakte für die Realisierung des Vorhabens zu knüpfen, wobei Gewissenhaftigkeit für eine kontinuierliche und zuverlässige Aufrechterhaltung dieser Kontakte und Projekte von Bedeutung sein könnte.

Wolfgang Schönpflug unterscheidet zwischen Menschen mit einer kanalisierten Leistungsmotivation und einer generalisierten (in Wellmann, 2009): «Die einen sagen, ich will in meiner Ausbildung, in meinem Beruf etwas leisten, aber sonst habe ich kein Leistungsmotiv. Bei anderen ist es generalisiert. Wenn diese auch nur einen Kochlöffel in die Hand nehmen – es muss was Besonderes werden; wenn sie den Koffer packen, dann möchten sie das besonders geschickt machen. Ob sie das immer mit Erfolg zuwege bringen, steht auf einem anderen Blatt.» Der Trait Gewissenhaftigkeit könnte diesen Aspekten durchaus als ein basaler Träger dienen.



Machtmotiv

«Denn Wissen selbst ist Macht», schrieb Francis Bacon im Jahr 1598 in seinem Essay mit dem Titel die «Reflexion des Heiligen» (Der neue Büchmann, 2014). Demnach bedeutet nichtder Besitz von Wissen Macht bzw. ist nicht jemand mächtig, weil er etwas weiss, sondern Wissen an sich als eine Entität ist Macht. Dies könnte gedeutet werden als eine höher angesiedelte und erstrebenswerte Kraft des Wissens, der man mit Ehrfurcht begegnet und die ermöglicht, am Prozess des Wissens teilhaben zu dürfen und ermächtigt zu sein, etwas Konstruktives erschaffen zu können, das dem Allgemeinwohl dienen kann. Im unternehmerischen Kontext würde dies bedeuten, dass das Wissen, das weitergegeben wird, die Lebens- und Arbeitsqualität erhöhen sollte. Demzufolge können wir annehmen, dass in einer sozialen Organisation Macht Menschen zum ethischen und achtsamen Handeln bezüglich ihrer Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz bewegen kann. Gleichzeitig kann Machtbesitz einer Führungskraft dazu verhelfen, Mitarbeitende von schädigendem Verhalten sich selbst sowie auch den Arbeitskollegen und dem Unternehmen gegenüber abzuhalten. Damit eine Führungskraft ihre Macht ethisch und gleichzeitig zieldienlich anwenden kann, kann die Persönlichkeitseigenschaft Verträglichkeit, wenn sie nicht allzu stark ausgeprägt ist, von Bedeutung sein. Wenn Verträglichkeit in einer Person in hohem Masse angelegt ist, so wird es ihr wahrscheinlich sehr schwer fallen, Entscheidungen zu treffen, die anderen nicht gefallen. Jedoch betrifft das Risiko, nicht gemocht zu werden, nicht nur die Rolle der Führungskraft, sondern auch die Privatperson in der Führungsrolle. Also lässt es sich vermuten, dass in der Führungsperson eine gewisse emotionale Diskrepanz aufkommt. Um mit dieser Diskrepanz fertig zu werden, kann eine stärkere Ausprägung von «Kaltherzigkeit» von Vorteil sein. Ein eher niedriger Anteil an Verträglichkeit und ein hoher Anteil an Extraversion und an Gewissenhaftigkeit können ebenfalls von Vorteil sein, wenn es darum geht, das Unternehmen durch eine Krise zu begleiten, beispielsweise wenn Lohnkürzungen bevorstehen. Paul Ridder zitiert in seinem Buch «Prozesse sozialer Macht» einen Aspekt der Forschungsergebnisse des österreichischen Organisationspsychologen Fred Edward Fiedler: «Der aufgabenbezogene Führungsstil erwies sich in extremen Führungssituationen als der wirksamere, während in mittleren, ‹normalen› Bedingungen der personenbezogene Stil zu besseren Ergebnissen führt» (Ridder, 1979). Letzteres führt uns zum Anschlussmotiv, dass das Erleben von grosser Distanz zwischen Führungskraft und Mitarbeitende reduzieren kann.



Anschlussmotiv

«Allgemein heißt Führen zu bewirken, dass durch Menschen ein Ziel erreicht wird» (Scheuplein, 1967). Die Beziehungsgestaltung zwischen einer Führungsperson und ihrer Mitarbeitenden ist eine Aufgabe, die viel Fingerspitzengefühl abverlangen kann. Wenn eine Führungsperson verstärkten Wert auf die Nähe zu den Mitarbeitenden legt, um sozialen Anschluss zu finden und diese Nähe aufrechterhält, dann erscheinen die folgenden drei Traits als Indikatoren für ein höheres Anschlussmotiv: Verträglichkeit in höherem Masse, um gegenüber den Mitarbeitenden mitfühlend und herzlich zu wirken; Gewissenhaftigkeit, um das Gefühl der Zuverlässigkeit gegenüber der Belegschaft zu erhöhen, und Offenheit für Erfahrungen, um neugierig zu bleiben für die vielfältigen Anliegen der Belegschaft und um das eigene Bedürfnis, soziale Kontakte aufzubauen, zu befriedigen (vgl. Furtner & Baldegger, 2013). Nachteilig kann es sich auswirken, indem die Nähe-Distanz-Regulierung (Ermann, 2007)nicht rollengerecht gelebt wird und dadurch unterschwellig emotionale Vermischungen stattfinden können. Damit könnte eine verschwimmende Grenze zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden entstehen und sich eine Art kumpelhaftes Benehmen gegenüber dem Vorgesetzten entwickeln. Ein geringerer Anteil an Verträglichkeit könnte sich als Vorteil erweisen, um den nötigen, nüchternen und rollengerechten Abstand und Handlungsraum wahren zu können.



Leadership

«Die Geschäftsleiter merken heute allmählich, dass alles, was den Angestellten unglücklich oder auch nur unbehaglich macht, zugleich seine Energie lähmt, die bei richtiger Behandlung die beste Arbeit leisten könnte. Sie merken, dass Gutes, Wohlwollen, Anerkennung und Ermutigung viel bessere Wege sind, um gute Arbeit zu bekommen, als die alte Sklavenpeitsche», schrieb Orison Swett Marden (1913). Er war ein US-amerikanischer Jurist, Mediziner und Hotelier.

Für Hinterhuber heisst führen, die Herzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und dabei vom Dienen als Grundgedanken auszugehen (Eurich & Brink 2009). Wenn also Führung eine offensichtliche Herzensangelegenheit zu sein scheint, dann könnte die Frage, worauf es beim Führen von Menschen ankommt, einfach zu beantworten sein. Auf die menschliche Beziehung – simple ausgedrückt, ob die Chemie stimmt – kommt es an. Dies unterstreicht die zum elften Mal durchgeführte Studie des Instituts für Qualitätsmanagement und angewandte Betriebswirtschaft (IQB-FHS) der FHS St. Gallen zur Erforschung des Schweizer Weiterbildungsmarktes auf Managementstufe. 2000 der grössten Unternehmen wurden in der französischen, italienischen und deutschsprachigen Schweiz in die Studie miteinbezogen. Ein umfangreicher Teil der Studie behandelt die Verbreitung und den Weiterbildungsbedarf im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Die Studie zeigte auf, dass die Methodenkompetenz für viele Arbeitgeber an Relevanz verliert und dafür die Stärkung der Sozial- und Selbstkompetenzen als wichtigstes Ziel angesehen wird (Scherer, Meschenmoser & Grutsch, 2017). Wenn die oben erwähnte Aussage von Harald Scheuplein, dass Ziele mit und durch Menschen erreicht werden, zutrifft, dann ist das Resultat der Untersuchung die Bestätigung dessen, worauf es nach Scheuplein nach über vierzig Jahren im Leadership ankommt; nämlich auf die Menschen, die führen, und auf die Menschen, die geführt werden und auch geführt werden wollen. Henry Mintzberg zitiert in seinem Buch «Managen. The mother of Management»: «Um mit Mary Parker Follett zu sprechen: Führung kann ‹Erfahrung in Macht verwandeln. …. Die fähigsten Verwalter leiten nicht nur aus den Fakten der Vergangenheit logische Schlussfolgerungen ab. … Sie haben eine Vision von der Zukunft›, die uns hilft, unsereErfahrungen zu interpretieren und kluge Entscheidungen zu treffen, anstatt uns kluge Entscheidungen von oben diktieren zu lassen» (Mintzberg, 2011 S. 97). Hierbei stelle sich die Frage, ob wir Leadership von Managen unterscheiden könnten oder sollten. Mintzberg macht in dieser Hinsicht kaum eine Unterscheidung. Hingegen stellt Scheuplein den Unterschied heraus, dass der Begriff «Leiten» sich auf das Unternehmen bezieht und Führung auf die Menschen. Eines kann festgehalten werden, dass sich sowohl ein Unternehmen als auch die Menschen darin mit einer Vision und zukunftsorientiert konstruktiv vorwärts entwickeln sollen. Wie die Bestandteile der Führung und Leitung aufeinander einwirken, beschreibt die Synergetik am treffendsten.



Synergetik

In den vorangegangenen Ausführungen habe ich versucht, die Zusammenhänge zwischen den psychologisch/biologischen Aspekten und den soziologischen Phänomenen im Führungskontext darzustellen. Wie in jedem System, insbesondere in einem lebenden System nach kybernetischer Auffassung, ist es nicht nur wichtig, was jemand macht, sondern wie er etwas macht (Ashby, 1974). Damit ziele ich auf das Zusammenwirken von Persönlichkeitseigenschaften (Traits) des Leaders ab und wie er seine Eigenschaften, die er selbst an sich wahrnimmt (Selbsterkenntnis) in Handlungen umsetzt, und zwar mit den erforderlichen Motiven, die aus dem oben beschriebenen Anspruchsniveau (Erwartungen, Zielsetzung und Ansprüche) (vgl. Heckhausen & Kuhl, 1996) resultieren. Es soll noch ergänzend hinzugefügt werden, dass das Zusammenwirken je nach Anforderungen der sozialen Umwelt unterschiedlich sein kann. Aufgrund des Umfangs dieser Arbeit kann ich auf die zahlreichen Varianten der Erscheinungsbilder nicht näher eingehen. Es lässt sich so zusammenfassen, dass je nachdem wie stark die Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaften einer Führungsperson in einer bestimmten Traits-Variable sind, sich die Handlungsmotive (Leistungs-, Macht- und Anschlussmotiv) im Hinblick auf ihr Führungsverhalten verändern.



10. Fazit/Ausblick

In den vorangegangenen theoretischen Überlegungen habe ich versucht darzustellen, inwiefern das Bewusstsein für eine Führungskraft über die eigene Person eine Voraussetzung schaffen kann, um den Anforderungen im Führungsalltag gerecht zu werden, unter Einbezug von Leistungs-, Macht- und Anschlussmotiv. Im Idealfall kann die Klarheit über die eigenen Führungseigenschaften als eine erleichternde Voraussetzung zu Beginn der Führungspraxis als günstig angesehen werden, sofern die Person für künftige persönliche Veränderungen bereit ist. Um festzustellen, inwiefern die etablierten Eigenschaften sich im Laufe des Praktizierens der Führungsrolle verändern, in welche Richtung auch immer, bedarf es einer Längsstudie. Dabei würde sich die gewonnene Korrelation zwischen Dauer, Traits der Person und der Branche, in der die Führungsperson tätig ist, als klärend erweisen, wobei die Entwicklungsschwankungen gesellschaftlicher und ökonomischer Herkunft zu berücksichtigen wären.






Quellenverzeichnis

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